Frühe Fortbewegung, im Rausch der Geschwindigkeit


Der früheste Geschwindigkeitsrausch, an den ich mich erinnere, waren die Schlittenfahrten die Neue Steige in Kirchentellinsfurt hinunter, meine Oma hinten auf dem Schlitten und ich vorne. Die Hauptstraße konnte man im Winter, da nicht gesalzen, von oben bis zum Ende im Neckartal hinunterrasen. Es war das Jahr 1953! Für die kurze Fahrt zum Kindergarten wurde ich öfters von einer Freundin meiner Mutter in ihrem VW Käfer Cabrio mitgenommen, zweifarbig, beige mit braunen Kotflügeln. Ich wohnte mit meinen Eltern im Haus meiner Großeltern, in meiner Familie war zu dieser Zeit niemand motorisiert.

Als ich mit meinen Eltern in ein Reihenmittelhaus in die Mozartstraße in Reutlingen umgezogen war, kaufte sich mein Vater sein erstes motorisiertes Fortbewegungsmittel, einen Roller NSU Lambretta. Wenn wir zu Dritt ausfuhren, stand ich entweder vor meinem Vater auf dem Trittbrett oder saß bei längeren Fahrten in Gegenrichtung vor meiner Mutter mit auf deren Rücksitz. In lateinamerikanischen und asiatischen Ländern sieht man heute noch Zweiräder, die mit mehr als zwei Personen besetzt sind und eine Helmpflicht bestand sowieso noch nicht. Möglicherweise kommt es mir daher auch heute nicht in den Sinn einen Fahrradhelm zu tragen.

Meine Affinität zu vierrädrigen Fahrzeugen erhielt entscheidenden Auftrieb durch den Beruf meines Vaters als Redakteur des Reutlinger Generalanzeigers, der als emotionaler Metastrom ständig in unserer Familie allgegenwärtig war. „Der GEA“ war nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Zentralorgan unserer politischen und sozialen Meinungsbildung, sozusagen ein zusätzlicher Frontallappen in unseren Gehirnen.

Fast jede Woche ergab es sich ein- oder mehrmals, dass mein Vater einen „Geschäftswagen“ zur Ausübung seines Berufs benutzen konnte, den er während seiner ausgiebigen Mittagspause vor unserem Haus abstellte oder der sogar über Nacht dort stand. Als Sechsjähriger durfte ich mich, solange ich wollte, alleine in diesen Wagen, meist ein Opel P 4, setzen und Autofahren spielen. Ich drehte am Lenkrad, betätigte die Gangschaltung und alle erreichbaren Knöpfe und Schalter, an die Fußpedale kam ich jedoch nur, wenn ich mich längs auf den Sitz legte. Das konnte ich stundenlang tun, ohne dass mir langweilig wurde. In meinem Kinderzimmer hatte ich ein Plastiksteuerrad, das mit einem Saugnapf am Schreibtisch befestigt war und so konnte ich die Zeit ohne den Opel mit Trockenübungen überbrücken, wobei ich mir dabei eher ein großes Kreuzfahrtschiff vorstellte, welches über den Ozean hinter meinem Fenster schipperte.

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