Ich fahre Auto!!!


Vor dem Reihenhausensemble in der Mozartstraße parkte eine braune Citroen DS. Er hatte meinem Onkel gehört, nun stand er abgemeldet vor unserer Reihenhaussiedlung. Zusammen mit den Nachbarsjungen durften wir reinsitzen, wann immer wir wollten, so dass sich nachmittags oft fünf bis sechs Vierzehnjährige auf den weichen Polstern der Deesse, also der “Göttin” tummelten, ich natürlich hinter dem typischen Einspeichenlenkrad. Der Wagen hatte einen extra Anlasserdruckknopf, wenn man diesen drückte, orgelte der Anlasser und der Wagen erhob sich dank seiner hydropneumatischen Federung um einige Zentimeter. Der Motor sprang jedoch nicht an, mangels Benzin im Tank. Eines Nachmittags machte ich mich zusammen mit einem Freund und einem Zweiliter Blechkanister auf den Weg zu einer Tankstelle, wo wir unseren Kanister mit Treibstoff füllten, den wir anschließend in den Tank der DS schütteten. Was jetzt noch einer Ausfahrt im Wege stand, waren die fehlenden Nummernschilder, denn die DS war abgemeldet. Erfreulicherweise gab es vorne und hinten an dem Wagen integrierte schwarze Flächen in Nummernschildgröße, welche für die Befestigung selbiger vorgesehen waren. Diese beschrifteten wir mit Pinsel und Tuschweiß mit den Buchstaben “FBI”, Federal Bureau of Investigation! Dann starteten wir den Wagen und drehten als FBI-Agenten eine Runde um den Block. Die DS lief wunderbar und alle Insaßen hatten ihre Freude! Es blieb bei dieser einen Ausfahrt, da mein Vater kurz darauf den Wagen verkaufte.

Frühe Fortbewegung, im Rausch der Geschwindigkeit


Der früheste Geschwindigkeitsrausch, an den ich mich erinnere, waren die Schlittenfahrten die Neue Steige in Kirchentellinsfurt hinunter, meine Oma hinten auf dem Schlitten und ich vorne. Die Hauptstraße konnte man im Winter, da nicht gesalzen, von oben bis zum Ende im Neckartal hinunterrasen. Es war das Jahr 1953! Für die kurze Fahrt zum Kindergarten wurde ich öfters von einer Freundin meiner Mutter in ihrem VW Käfer Cabrio mitgenommen, zweifarbig, beige mit braunen Kotflügeln. Ich wohnte mit meinen Eltern im Haus meiner Großeltern, in meiner Familie war zu dieser Zeit niemand motorisiert.

Als ich mit meinen Eltern in ein Reihenmittelhaus in die Mozartstraße in Reutlingen umgezogen war, kaufte sich mein Vater sein erstes motorisiertes Fortbewegungsmittel, einen Roller NSU Lambretta. Wenn wir zu Dritt ausfuhren, stand ich entweder vor meinem Vater auf dem Trittbrett oder saß bei längeren Fahrten in Gegenrichtung vor meiner Mutter mit auf deren Rücksitz. In lateinamerikanischen und asiatischen Ländern sieht man heute noch Zweiräder, die mit mehr als zwei Personen besetzt sind und eine Helmpflicht bestand sowieso noch nicht. Möglicherweise kommt es mir daher auch heute nicht in den Sinn einen Fahrradhelm zu tragen.

Meine Affinität zu vierrädrigen Fahrzeugen erhielt entscheidenden Auftrieb durch den Beruf meines Vaters als Redakteur des Reutlinger Generalanzeigers, der als emotionaler Metastrom ständig in unserer Familie allgegenwärtig war. „Der GEA“ war nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Zentralorgan unserer politischen und sozialen Meinungsbildung, sozusagen ein zusätzlicher Frontallappen in unseren Gehirnen.

Fast jede Woche ergab es sich ein- oder mehrmals, dass mein Vater einen „Geschäftswagen“ zur Ausübung seines Berufs benutzen konnte, den er während seiner ausgiebigen Mittagspause vor unserem Haus abstellte oder der sogar über Nacht dort stand. Als Sechsjähriger durfte ich mich, solange ich wollte, alleine in diesen Wagen, meist ein Opel P 4, setzen und Autofahren spielen. Ich drehte am Lenkrad, betätigte die Gangschaltung und alle erreichbaren Knöpfe und Schalter, an die Fußpedale kam ich jedoch nur, wenn ich mich längs auf den Sitz legte. Das konnte ich stundenlang tun, ohne dass mir langweilig wurde. In meinem Kinderzimmer hatte ich ein Plastiksteuerrad, das mit einem Saugnapf am Schreibtisch befestigt war und so konnte ich die Zeit ohne den Opel mit Trockenübungen überbrücken, wobei ich mir dabei eher ein großes Kreuzfahrtschiff vorstellte, welches über den Ozean hinter meinem Fenster schipperte.

Frühe Prägung, Der Schnuller brennt, und ich fange zu rauchen an


Mit vier Jahren hing ich immer noch am Schnuller, was besonders meinen Vater an der Entwicklung seines Sohnes zum Mann zweifeln ließ. Er wandte seine ganze Überredungskunst an und eines Tages stellte ich mich freiwillig vor den Kohleofen im Wohnzimmer. Er war größer als ich und das Feuerloch befand sich in meiner Stirnhöhe. Papa öffnete die Feuertür und ich warf in einem Anfall von vorauseilendem Gehorsam meinen letzten Schnulli in die lodernde Hitze.

Diesem frühen Entzug schreibe ich zu, dass ich als Sechzehnjähriger bereits Gewohnheitraucher war und auch schon die Jahre zuvor mit verschiedenen Arten von Lungenbrot experimentierte. Zunächst rauchten wir als Zwölfjährige getrocknete Holunderzweige, später ließen wir Sechserpackungen „Supra“ für 50 Pfennig aus dem Automaten des Tante-Emma-Ladens unweit unseres Reihenhauses in Reutlingen. Als Zehntklässler eines Jungengymnasiums waren wir bereits voll im Rennen, wer welche Marke rauchte war eine sinnstiftende Angelegenheit. „Otsch“ bevorzugte „Kurmark“, während ich mich meistens aus dem HB-Fundus meiner Eltern bediente, bevor die jahrelange Phase der Mentholzigaretten begann. Ich bildete mir ein, diese wären gesund, wegen des Mentholgehalts! Als ich einmal unglücklich in meine Tanzstundenpartnerin Inge verliebt war, konnte ich dies mit zwei bis drei Packungen am Tag kompensieren.

Apropos unglücklich verliebt. Bei solchen Katastrophen zogen wir als Teenager noch Hollywood-würdige Shows ab, um die Angebete zu beeindrucken. Als einmal eines dieser Mädchen, mit der ich mir einbildete zu „gehen“, einen Rückzieher machte, beschloss ich mit Hilfe meines besten Freundes Uli die ganz große Mitleidstour abzufeuern. Die Vorgabe war, dass ich bei Heizungsarbeiten in unserem Bungalow am Georgenberg zugeschaut hatte und dabei irgend etwas explodiert war, sodass ich, wenigstens vorübergehend, erblindete. Ich legte mir einen Verband um Augen und Stirn und konnte tatsächlich nichts mehr sehen. Geführt von meinem Freund gingen wir zum Haus des Mädchens, ein Weg von etwa zwei Kilometern, der auch durch die Innenstadt von Reutlingen führte. Mein Freund schilderte mir, wie unseretwegen Frauen mit Kinderwagen den Gehweg frei machten und uns Passanten respektvoll (wegen des fürsorglichen Begleiters) bis mitleidsvoll (meinetwegen) nachschauten. Beim Haus des Mädchens angekommen klingelten wir, ich hörte sich ein Fenster im ersten Stock öffnen und dann ein ersticktes „Um Gottes Willen!“. Sie kam zur Haustür, wir baten sie zu einem Gespräch in eine unserer Stammkneipen, wo wir den Sachverhalt glaubwürdigst darlegten. Danach habe ich dieses Mädchen buchstäblich aus den Augen verloren und meine volle Sehkraft zurückerhalten.